Samstag, 24. April 2010

Verfallsdatumsgucker

"Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.“
Jeder von uns kennt diesen Satz in irgendeiner Variation. Es ist das Happy End(ing). Nach vielen Irrungen und Wirrungen, Prüfungen und Feuerproben bildet dieser Satz den Schluss der Geschichte. Die schöne Heldin bekommt ihren Traumprinz. Wie immer im MÄRCHEN. Denn der oben genannte Schlusssatz ist vor allem eines: signifikanter Bestandteil eines Märchens. (Märchen=Fiktion, nicht real!)
Zwischen der Floskel „Es war einmal…“ und „sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ lernen wir die Märchenfiguren kennen, die trotz unüberwindbar erscheinender Hindernisse (welche meist auf unterschiedliche soziale Herkunft basieren) und mindestens eines retardierenden Momentes schließlich zueinander finden.
Das Problem liegt nun darin, dass dieses „Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ fälschlicherweise bereits ans Ende des Prologes gesetzt wurde. Mal ganz im Ernst: Märchenfiguren haben meist ein Alter von 15 bis maximal 25 Jahren. Vom ersten Blick bis zur Hochzeit vergehen selten mehr als ein paar Monate, oft sind es nur wenige Tage. Und nach der Hochzeit? Verbringen sie ihre Leben irrsinnig glücklich und verliebt wie am ersten Tage? Sicher nicht. Das Happy End(ing) ist nur das Ende der kindertauglichen Kurzversion. Schließlich sollen die Kinder nicht mitbekommen, dass nicht alle Traumpaare ein märchenhaftes Leben führen. Dass sich viele streiten, obwohl sie sich lieben. Einige weinen und fühlen sich einsam, obwohl jemand neben ihnen sitzt. Fremdgehen und lügen, obwohl sie geschworen hatten, den anderen nie zu verletzen.
Was also machen Grimm, Disney und Co?
Sie beachten tunlichst das Verfallsdatum einer Beziehung. Ihr denkt, so etwas gibt es nicht? Ihr glaubt, wenn sich zwei Menschen gefunden haben, dann garantiert das ein glückliches und unbeschwertes Leben? Da wird euch das weiße Kaninchen aber etwas anderes erzählen:
So wie der Aufenthalt in Fantasien, im Wunderland und im Spiegelland zeitlich begrenzt sind, gibt es auch ein Grenzdatum für Beziehungen. Das muss nicht unbedingt an den Liebenden liegen. Oft sind es äußere Umstände, die die Beziehung zerstören: einer bekommt einen Job in einer anderen Stadt, die zu weit weg ist, um auch nur Pläne für eine Fernbeziehung schmieden zu können, und schwupps, raus aus dem Wunderland, sind beide wieder am Anfang. Nix da mit „glücklich bis ans Ende ihrer Tage“.
Manchmal ist es die etwas jüngere, blonde, dünne Kollegin, die der Beziehung den Gar ausmacht, manchmal erkennt einer der beiden, dass er/sie schon seit Monaten unglücklich war, weil der eine nur gab, der andere nur nahm.
Paare sind in den seltensten Fällen für immer und ewig zusammen. Die Lösung der Traumindustrie: Die Geschichte ist zu Ende, bevor sich die Liebenden streiten.
Aber was ist nun die Moral dieser Lektion? Da ist sich das weiße Kaninchen ungewohnterweise unsicher. Was ist die richtige Konsequenz, die Erkenntnis? Sollen wir in Furcht leben, in Erwartung des unvermeidlich drohenden Endes in Form einer/s Anderen, eines Jobs in nicht fernbeziehungstauglicher Ferne oder des schnöden, harmoniezerstörenden Alltags? Oder genießen wir die Zeit im Wunderland der Liebe, wohlwissend, dass wir es früher oder später wieder verlassen müssen? Die beste Verhaltensweise wäre sicher ein „Carpe Diem“ (dt.: Nutze den Tag, Genieße den Tag). Es klingt logisch, sich nicht um ungelegte Eier zu sorgen. Aber so einfach ist das nicht. Oder trinkt ihr Milch, ohne vorher auf das Verfallsdatum zu schielen? Aus reinem Selbstschutz? Na seht ihr, alle seid ihr Verfallsdatumsgucker.

Freitag, 16. April 2010

Vom verlorenen Mojo

Wer kennt das Gefühl nicht? An einigen Tagen fühlen wir uns unschlagbar. Die Haare sitzen, das Outfit ist umwerfend und der böse Spiegel zeigt zur Feier des Tages die beste Version unsereins. Ganz im Sinne von "Tonight's gonna be a good night" wird sich mit Freunden getroffen, ein Cocktail folgt dem nächsten und auf dem Dancefloor gleicht man einem Maniac. Die Nacht ist jung. Wir sind noch nicht ganz so alt. Es wird getrunken, getanzt und geflirtet. Dann passiert es: ein kleiner, komischer, zweifelnder Blick irgendeines unanbetungswürdigen Menschen und das Selbstbewusstsein zerspringt in tausend Scherben. Ein kleiner, blöder, sinnfreier Kommentar und schon haben wir es verloren: unser Mojo*
Plötzlich scheinen die Haare ein strohiges Nest zu verkörpern, die Klamotten sind zu groß oder zu kurz oder einfach nur schrecklich und jeder Schritt auf der Tanzfläche droht in einem Stolpern zu enden. Wie kommt das? Wie kann ein kleiner hässlicher Wurm eine solche Macht über unser Wohlbefinden ausüben? Warum denken wir in solchen Momenten nicht an die zahllosen Bewunderer, Hinterher-Pfeifer, Cocktail-Ausgeber und sonstige Verehrer, die uns in anderen Situationen derartige Höhenflüge zu bescheren vermögen? Warum um alles in der Welt ist es so schwer sich gut zu fühlen (sorgsame Outfit-Auswahl, ausgiebiges Studieren der erotischsten und souveränsten Tänzer und jahrelanges Training im Kokettieren...) und innerhalb von Millisekunden stehen wir wegen eines Versagers, den wir auf der Straße nicht nur keines zweiten, sondern noch nicht mal eines einzigen Blickes würdigen, kurz vor dem nervlichen Aus?

Wenn ihr dem weißen Kaninchen folgt, tief ins Loch hinein, dann werdet ihr zu der Erkenntnis kommen, dass diese Sorgen eigentlich alle sekundäre Realitäten bilden, die mehr mit Fiktion als mit Wirklichkeit zu tun haben. In einer Welt, in der sich Frauen über ihr Gewicht, ihren Kleidungsstil und ihr Make up definieren und anfangen zu glauben, niemand könne sie lieben wenn sie mehr als 50 kg wiegen, dann ist es Zeit, innezuhalten, sich mächtig zu erschrecken und sich vorsichtig zu erkundigen, wie um alles in der Welt es soweit kommen konnte. Nicht nur in Hollywood wird sich unters Messer gelegt, rückwärts-gegessen und Kalorien gezählt. Ich rede hier nicht von lokalen Phänomenen sondern von globalen Epidemien. Dies soll keine Negation der Schönheit werden, mehr eine Neuinterpretation. Es ist nötig, einen rekodifizierenden Prozess in Gang zu setzen. Weg von der Normierung unserer Körper, weg von der Verfremdung des Körpergefühls, weg mit der Nachkreierung von Perfektion, die sowieso nur ein Ergebnis von Photoshop ist.
Wenn ihr lacht, dann denkt nicht darüber nach, ob euer Lachen lustig oder süß ist. Wenn ihr tanzt, dann genießt die Musik und schert euch nicht um die Meinung anderer.
Wenn ihr gehässige Kommentare hört, dann kümmert euch nicht darum. Wer weiß mit welchen Problemen sich diese Neider herumschlagen müssen. Ich sage jetzt nicht, ihr sollt sie bemitleiden ob ihrer Hässlichkeit und Unbeliebtheit. Die größte Strafe, mit der ihr sie quälen könnt, ist der Entzug von Aufmerksamkeit. Beachtet sie nicht. Sie brauchen die Aufmerksamkeit wie Blumen die Sonne. Nehmt ihnen das Licht, und sie werden eingehen.
Das Motto sollte nicht heißen: Tanze wie ein Maniac, singe wie eine Nachtigall und bewahre unter allen Umständen eine gute Figur.
Das weiße Kaninchen (beziehungsweise Mark Twain) legt euch folgendes Motto ans Herz: “Tanze, als ob niemand dir zusieht, liebe, als wurdest du nie verletzt, singe als ob dir niemand zuhört, lebe als sei es das Paradies auf Erden.”


* Austin Powers: Spion in geheimer Missionarstellung